Am 29. und 30. Oktober fand im Bundeshaus die zweite Frauensession statt.
Ich (Melanie) durfte als Gästin am Freitag mit dabei sein und die Frauensession von der Tribüne aus erleben.
Alliance F schreibt zur Frauensession:
“Zweite Frauensession schreibt Geschichte: 2 Tage, 246 Frauen, 77 Abstimmungen: Das war die historische Frauensession 2021. Die professionelle und engagierte Arbeit der Teilnehmerinnen wurde von anwesenden Politikerinnen und Bundesrätinnen gewürdigt, sowie ihr starker Wille, eine politische Wirkung zu erzielen.”
In diesem Blogbeitrag möchte ich meinen eigenen Rückblick auf die Frauensession mit euch teilen und euch von meinen ganz persönlichen Highlights erzählen.
Was mich sehr beeindruckt hat, ist die grosse Professionalität und Kompetenz der Teilnehmer:innen und ich bin begeistert von der Vielfalt der Stimmen an der Frauensession. Eine Teilnehmende meinte, dass das Parlament noch nie so Queer war wie an diesen zwei Tagen. Bilder auf Social Media zeigen die grosse Gruppe von BIPOC Aktivist:innen. Während dem Open Mic plädierten zwei Frauen mit Beeinträchtigungen für ein Mitspracherecht und für die Stimmen von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Politik. Ich musste selber feststellen, dass mir hier die Augen geöffnet wurden für eine Ungerechtigkeit, die ich bisher nur am Rande wahrnahm und mit Argumenten und einer Überzeugung, die ich bisher noch nicht kannte.
Die Frauensession hat gezeigt, wie Politik aussehen kann und aussehen muss, und wie viele wichtige und wertvolle Stimmen nicht gehört werden.
An der Frauensession wurden sehr viele wichtige Themen besprochen und verabschiedet. Diese Petitionen wurden am zweiten Tag dem Ratspräsidium zuhanden des Parlaments übergeben. Die Petitionen beinhalten Themen wie die Schaffung eines Bundesamtes für Gleichstellung, Gleichstellung im Alter, Einführung politischer Rechte für Einwohner:innen der Schweiz ohne Schweizer Staatsbürgerschaft, und viele weitere.
Ich bin überzeugt, dass das Parlament die teilweise einstimmigen Forderungen der Frauensession nicht ignorieren darf oder ignorieren sollte!
Ich fand es fantastisch, als Gästin mit dabei zu sein – noch lieber hätte ich in einer Kommission mitgearbeitet und mit abgestimmt (das nächste Mal muss ich eine bessere Wahlkampagne führen). Es hat mich unglaublich gefreut, dass – auch wenn ich nicht mitarbeiten konnte – ein wichtiges Anliegen von Body Respect Schweiz und mir diskutiert und angenommen wurde: die Einführung eines nationalen Programms zu Diskriminierung und implizitem Bias im Gesundheitswesen:
“Sie [die Frauensession 2021] bittet das Parlament, den Bundesrat zu beauftragen, ein nationales Forschungsprogramm zu Diskriminierung und implizitem Bias im Gesundheitswesen zu lancieren und den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit dessen Ausführung zu mandatieren. Dieses nationale Programm berücksichtigt transdisziplinär und intersektional die multiplen Formen von Diskriminierung im Gesundheitswesen und beinhaltet die Aspekte der Gender-Medizin (nicht-binäres biologisches Geschlecht und Gender), Ethnizität, Gewicht, Behinderung, sexuelle Orientierung und sozio-kulturelle Gesundheitsdeterminanten.”
Die Tatsache, dass dieses Anliegen das Merkmal Gewicht beinhaltet und die Diskriminierung im Gesundheitswesen thematisiert wird, bedeutet mir unglaublich viel. Ich bin sehr dankbar für die Menschen, die sich für dieses Thema in der Frauensession stark machten!
Und ich hoffe sehr, dass diese Forderung vom Parlament ernst genommen wird (gesundheitliche Chancengleichheit ist aktuell ein Fokusthema). Als über diesen Punkt abgestimmt wurde, war ich sehr berührt. Ach was sag ich, ich war den ganzen Tag durch sehr gerührt und begeistert.
Die Frauensession hat auch gezeigt wie präsent Sexismus in der Schweiz ist. Viele mediale Berichterstattungen über die Frauensession 2021 strotzen von Sexismus und toxischer Maskulinität. Oft war das Aufbegehren so lächerlich, dass es schon wieder lustig war. Am Samstag verfolgte ich zwischen dem Packen von Umzugskisten den Live-Stream der Frauensession auf Youtube. Im Chat meinte ein Typ ernsthaft, wann es denn eine Männersession geben würde. Diese Frage las ich später noch in weiteren Kommentaren online. Bis vor 50 Jahren war jede Session IMMER eine Männersession. Unter dem Begriff “Schweizer” wurde nur der Mann verstanden und nicht die Frauen. Diese Aussagen zeugen von grosser Ignoranz und Verkennung des schockierenden Unrechts, welches spätestens in diesem Jahr, dem 50jährigen Jubiläum des Frauenstimmrechts allen – auch den Männern – bewusst sein muss.
Zita Küng, eine der grossen Feministinnen der Schweiz, drückte mir im Lift ein Plakat in die Hand, auf welchem steht: Manifest CH2021: «Dampf machen!»
Mit der Verweigerung des Frauenstimmrechts bis 1971 wurden den Schweizer Frauen* ihre Menschenrechte vorenthalten. Sie wurden vorsätzlich daran gehindert, ihre demokratischen Rechte auszuüben und damit ihre Rechtsordnung und ihre Gesellschaft mitzugestalten. Das jetzige Jubiläum könnte die Gelegenheit zu einer Anerkennung dieses Unrechts sein.
Zur Diskussion steht eine Entschuldigung des Bundesrats.
Den Vorstandsfrauen von CH2021 geht es jedoch weniger um eine Entschuldigung als vielmehr um etwas Grundlegenderes und Zukünftiges.
Wir fordern den Bundesrat auf, in der nächsten Session einen Tag des Erkennens und Anerkennens des Unrechts und der Konsequenzen der Verweigerung des Frauenstimmrechts anzusetzen. Ziel ist es, aus den identifizierten Defiziten einen zeitlich verbindlichen Aktionsplan zur Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung zu verfassen. Das gewonnene Wissen und Verständnis sollen dazu führen, dass sich die vereinigte Bundesversammlung, die Regierung, aber auch die Öffentlichkeit, besonders die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen, ihrer kollektiven Verantwortung für die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst werden, um Diskriminierung zu überwinden – in jeglicher Form.
Manifest CH2021: «Dampf machen!»
Ich werde dieses Plakat in meinem Büro aufhängen und in Ehren halten. Zita Küng zu begegnen, war auf jeden Fall ein spezieller Moment. Etwas unbeholfen sagte ich zu ihr: “Ich finde Sie super” – was definitiv so ist.
Was werde ich aus der Frauensession 2021 mitnehmen? Eine grosse Motivation und ein Feuer für meine Arbeit rund um den Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung. Ich durfte sehr viel lernen, ein vertieftes Verständnis über Abläufe mitnehmen und auch Berührungsangst abbauen. Ich hatte das grosse Glück, mit Jessica auf der Tribüne zu sitzen, die mir sehr viele Sachen erklärte und zeigte. Vielen Dank, Jessica!
Politik und die Arbeit rund um Policies waren bis vor Kurzem für mich etwas völlig Abstraktes. Ich hätte mir nicht vorstellen können, wie bald ich mich sehr vertieft mit diesen Themen befassen werde.
Zu etwas ganz besonderem machten diesen Tag die lieben Menschen, mit welchen ich Gespräche führen durfte. Dies waren u.a. viele Leute vom Campaign Camp, Frauen die ich bisher nur über Social Media kannte, und all die lieben Leute, die mich ansprachen, weil sie unsere Arbeit kennen und diese so wichtig finden. Danke an euch alle!
Vielen Dank an alliance F für die grossartige Organisation und für die Einladung. Es war mir eine Ehre, als Gästin die historische Frauensession mitzuerleben!
Links
alliance f Webseite: https://de.alliancef.ch/frauensession / Petitionen Frauensession
Schau dir unbedingt das tolle Video an von SRF «We, Myself & Why». Dieses zeigt sehr schön die Stimmung und die Vielfalt der Frauensession (und Melanie kommt auch kurz zu Wort).
Annabelle: “10 Stimmen zur Frauensession”
Interview mit Dr. Leandra Bias: https://www.pszeitung.ch/anti-feministischer-rueckschlag-von-wladiwostok-bis-bern/
P.S. Meine Tochter weiss bereits sehr viel über die Geschichte des Frauenstimmrechts dank dem tollen Leiterli Spiel: «Ab ins Bundeshaus» erhältlich bei Queerbooks.