„Happy Fat“ von Sofie Hagen

Am 3. Mai 2021 fand unser erster Body Respect Schweiz-Buchclub statt. Neun Menschen aller Alters- und Berufsklassen und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen trafen sich online via Zoom, um über «Happy Fat» von Sofie Hagen zu diskutieren. Melanie und Andrea moderierten den Anlass und schufen gleich zu Beginn eine warme und gemütliche Atmosphäre. 

Der Abend startete mit einer Vorstellungsrunde, in der alle ihren Eindruck des Buches kundtun und ihre Lieblingsstellen im Buch (sowie ihr Lieblingsessen und ihren Lieblingsnachtisch 😉 ) vorstellen konnten.

Schnell war klar, dass das «Happy Fat» bei uns allen grosse Begeisterung und starke Emotionen von herzlichem Lachen bis berührtem Weinen ausgelöst hat. 

Manche der Teilnehmenden hatten das Buch oder Hörbuch auf Englisch gelesen bzw. gehört, andere die deutschsprachige Version gelesen. Die deutschsprachige Version empfanden wir als ausserordentlich gut übersetzt und es war schön, die aus dem angloamerikanischen Raum bekannten Begrifflichkeiten wie «fatphobia» oder «thin privilege» für einmal auf deutsch zu lesen. 

Wir waren uns einig, dass «Happy Fat» eine reichhaltige Mischung und gute Balance aus autobiografischen Elementen, persönlichen Gedanken, gesellschaftlichen Analysen, wissenschaftlichen Studien, aktivistischen Aufrufen sowie Denkanstössen für die Lesenden bietet. 

Credit Matt Crockett.
Bild von Sofie Hagen, auf dem dicken Bauch ist ein lachendes Gesicht gemalt.

Diese Vielfalt führte dazu, dass alle Teilnehmenden ungeachtet ihrer unterschiedlichen Hintergründe und Lebenswelten sich mit bestimmten Stellen des Buches besonders identifizieren und sich in vielen Situationen wiederfinden konnten. So erzählt Sofie Hagen manchmal auf witzige, manchmal auf knallhart ehrliche und schockierende Weise aus dem Alltag als dicker Mensch. Manche Teilnehmenden des Buchclubs schätzten es, sich in diesen Passagen wiederzuerkennen und sich damit identifizieren zu können. Andere erzählten, dass ihnen diese Passagen – teilweise auf erschreckende Weise – ihre eigenen Privilegien vor Augen geführt hatte.

Als ebenso anregend empfanden wir die intersektionale Perspektive, die das Buch einnimmt. In «Happy Fat» sind mehrere Interviews mit nicht-weissen, queeren und/oder körperlich beeinträchtigten dicken Körpern abgedruckt. 

Sofie Hagen lässt aber nicht nur andere marginalisierte Gruppen zu Wort kommen, sondern bezieht auch spürbar die Lebenswelten der Lesenden ihres Buchs mit ein. Dadurch fühlen sich Sofie Hagens persönlichen Erzählungen weniger als Selbstdarstellung denn als ermunternde Hand auf der Schulter, als Begleitung auf dem eigenen Weg zu mehr Körper-Respekt dar.

Begeisterung löste bei uns auch die sexpositive Haltung des Buches aus. Während Medien und Öffentlichkeit hochgewichtige Menschen oft als entsexualisiert darstellen, zeigt Sofie Hagen ganz klar, dass dicke Menschen Sexualität leben und lieben. Wer «Happy Fat» mit der Erwartung eines weiteren Selbsthilfebuchs in die Hand genommen hat, wird erstaunt sein, das Buch mit mehr Wissen über Intim-Bleaching, zur «Fickbarkeit» dicker Menschen und über feministische Pornografie zu beenden. Und mit dem Wissen, dass Sofie Hagen ein Bums-Lord ist. 

Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass «Happy Fat» die grossen gesellschaftlichen Probleme im Zusammenhang mit Dickenfeindlichkeit benennt und auseinandernimmt. Sofie Hagen zeigt auf, wie sehr Dickenfeindlichkeit in Film und Fernsehen, in der Öffentlichkeit und in unserem Alltag verbreitet ist, wie der Kapitalismus und patriarchale Gesellschaftsstrukturen uns in die Arme der Diätindustrie treiben und wie Body Positivity als Marketing-Tool genutzt wird. Mit Verweis auf viele eindrückliche wissenschaftliche Studien zeigt sie, dass nicht das Körpergewicht, sondern die damit verbundene gesellschaftliche Stigmatisierung, Diskriminierung und die daraus resultierenden Stresshormone den grössten gesundheitlichen Schaden anrichten:

«Frage: Ist es eigentlich ungesund, dick zu sein?
Antwort: Du meinst, weil dicke Leute scheisse behandelt werden?
Ja, auf jeden Fall.»

Sofie Hagen, Happy Fat, S. 215

Sofie Hagen beendet ihr Buch nicht nur mit konkreten Handlungsanleitungen für mehr Selbstakzeptanz und Body Respect, sondern auch mit einem Aufruf zur gesellschaftlichen Veränderung. Dieser Aufruf prägte auch unsere anschliessende Diskussion.

Wir überlegten gemeinsam, wie wir uns in alltäglichen Diskussionen für mehr Körper-Respekt als menschliches Grundrecht einsetzen können, ohne immer wieder ableistische Argumente bezüglich Gesundheit entkräften und entsprechende wissenschaftliche Studien zücken zu müssen. Dabei waren wir – inklusive Sofie Hagen – uns einig: Gesundheit ist keine moralische Verpflichtung und Respekt ist ein grundlegendes Menschenrecht.

Ebenso überlegten wir gemeinsam, warum wir eigentlich jemanden wie Sofie Hagen brauchen, der uns sagt, dass es in Ordnung ist, auch im Sommer und auch bei schönem Wetter einfach einmal zu Hause zu bleiben. Wie sich herausstellte, half «Happy Fat» vielen von uns dabei, nicht nur die „zukünftige Dünne“, sondern auch die innere Optimierungsfee ins Nimmerland zu schicken. Und auch «Nichts-tun» als Akt der Self-care anzuerkennen. 

Zum Abschluss diskutierten wir, wo und wie wir im Alltag kleine ‘Samen’ von Body Respect säen können, die langfristig wachsen und gedeihen.

Wie zu erwarten war, bot «Happy Fat» unglaublich viel Gesprächsstoff und so gingen die 1.5 Stunden Buchclub viel zu schnell um. Die schöne und offene Atmosphäre im Buchclub war genauso wohltuend wie die Lektüre von «Happy Fat», und führte genauso zum herzlichen Lachen, berührten Mitfühlen und zum Schmieden von Zukunftsplänen. Wir empfehlen «Happy Fat» uneingeschränkt weiter und freuen uns auf den nächsten Buchclub!

«Wir können nicht einfach zu allen Dicken sagen, dass sie okay sind, wie sie sind.
Wir können die Probleme nicht lösen, wenn wir uns weiter auf den persönlichen Kampf jedes Einzelnen konzentrieren, Dickenhass zu verlernen. Nur wenn wir uns das System vorknöpfen, das uns den Hass einflösst, haben wir die Chancen, etwas zu verändern.» 

Sofie Hagen, Happy Fat, S. 327