Ist Líkamsvirðing das neue Hygge?
Was scherzhaft gedacht ist, beinhaltet ein Thema, das mich (Melanie) seit längerem beschäftigt. Sobald Begriffe in den Mainstream gelangen, werden diese trendy, werden oft verwässert und verlieren ihre Kraft. Dies passierte z.B. mit Body Positivity.
Als ich im Sommer 2019 einen Namen für meine Arbeit und meine Webseite suchte, habe ich lange über Body Respect als Name nachgedacht, die Idee jedoch verworfen wegen dem bekannten Buch Body Respect (Bacon und Aphramor). Meine Freundin Meret kam auf den Namen Yes2Bodies und ich war sofort verliebt. Als Untertitel nutzte ich Body Respect & Body Diversity und ich begann den Slogan „für eine neue Kultur von Körper-Respekt“ zu verwenden. 2019 fing ich an, mich auf der Visitenkarte als Body Respect Aktivistin zu bezeichnen.
Kurze Zeit später lernte ich Sigrún Daníelsdóttir kennen, die Gründerin der Body Respect Bewegung in Island. Sie war Keynote-Speakerin beim Forum „Healthy Body Image“ der Gesundheitsförderung Schweiz. Ich war so begeistert vom isländischen Aktivismus, dass schnell klar wurde: Auch die Schweiz braucht einen jährlichen Body Respect Tag.
Zurück zum Begriff Líkamsvirðing und nach Island.
Am Internationalen No Diet Day 2007 erhielt jeder Haushalt und jedes Büro in Island ein Exemplar eines Magazins mit dem Titel Líkamsvirðing zugestellt.
Sigrún Daníelsdóttir erzählte mir in einem Interview: „Das war das erste Mal, dass der Begriff Líkamsvirðing, was auf isländisch Körperrespekt bedeutet, vorgestellt wurde. Es gab kein bereits existierendes Wort in unserer Sprache, das man verwenden konnte, und ich wollte einen Weg finden, das zu präsentieren, wofür ich kämpfe, nicht das, wogegen ich kämpfe. So ist der Begriff „Body Respect“ entstanden.“
Im Jahr 2009 startete Sigrún einen Blog unter demselben Namen, und ab diesem Zeitpunkt wurde aus einer eintägigen Veranstaltung ein ständiger, offener sozialer Dialog.
„Der Blog wurde in Island sehr bekannt und im Jahr 2010 wurde er zu einem der beliebtesten Blogs gewählt.“
Body Respect wurde langsam zu einem bekannten Thema in Island. „Ich erinnere mich, wie ich anfing, Leute zu sehen, die ich nicht kannte, völlig Fremde, im ganzen Land, die die Body Respect-Terminologie verwendeten. Es war außerhalb unserer Aktivistenblase im Mainstream-Publikum angekommen“ erzählte Sigrún.
Im Jahr 2012 wurde die Icelandic Body Respect Association gegründet und 2014 feierte Island den ersten nationalen Body Respect Day. „Wir sind von der Feier des internationalen No Diet Day zum nationalen Body Respect Day übergegangen und das war eine sehr bewusste Entscheidung: Weil es viel mehr Spass macht und viel produktiver ist, den Punkt zu betonen, für den man kämpft, als das, wogegen man kämpft. Außerdem wollten wir über den Fokus der Diätkultur hinausgehen und das Thema Gewicht und Verkörperung als ein Menschenrechtsthema hervorheben.“
Körper-Respekt für Kinder: Im Jahr 2014 wurde Sigrúns Kinderbuch Your Body Is Awesome: Body Respect for Children veröffentlicht. Dieses enthält ein Nachwort für Eltern: Das Gewicht der Kinder akzeptieren und sie dabei unterstützen, ihr Gewicht zu respektieren.
Seit 2017 ist die Fettaktivistin Tara Margret Vilhjalmsdottir Präsidentin der Icelandic Body Respect Association. Der Verein ist aktiv. Leider ist es sehr schwierig, up to date zu bleiben, da die Inhalte mehrheitlich auf Isländisch produziert werden und selbst Google Translate nur Bruchteile davon übersetzt.
Wir von Body Respect Schweiz bauen auf der Arbeit von Aktivist:innen und Bewegungen wie der isländischen auf. Deshalb ist es uns ein grosses Anliegen, diese auch sichtbar zu machen. Ich kannte den Isländischen Body Respect Aktivismus lange nicht. Als ich davon hörte war es mir wichtig, mich mit Sigrún abzusprechen und ihr Einverständnis einzuholen, die Idee des Body Respect Day zu übernehmen und den Namen zu nutzen.
Ich bin stolz darauf, dass wir Teil der Body Respect Bewegung sind.
Ist Líkamsvirðing das neue Hygge?
Nein, und ich hoffe es wird nie so sein. Hygge ist ein Schlagwort (Ist das Dänisch? Finnisch? keine Ahnung) und zu diesem soll Body Respect nicht unbedingt (ver)kommen.
Für eine neue Kultur von Körper-Respekt braucht es mehr als trendy Schlagworte.
P.S. Im Routledge International Handbook of Fat Studies gibt es ein Kapitel der aktuellen Präsidentin von Body Respect Island, Tara Margrét Vilhjálmsdóttir: Fat hatred and body respect: The curious case of Iceland.
Beitrag von Melanie Dellenbach, www.yes2bodies.ch